Der 7. Oktober hat mich gebrochen

Der 7. Oktober hat mich gebrochen

Ein Redebeitrag von Yevgen Bruckmann

Der 7. Oktober hat mich gebrochen. Ich glaube diesen Gedanken trug ich schon lange in mir, aber ich konnte ihn erst vor einem Monat wirklich zulassen. Zu groß, zu stark, zu vielseitig war das Geschehen in der Welt und um mich herum in den letzten 365 Tagen als dass ich die Ruhe hatte das vergangene zu reflektieren und was es mit mir gemacht hatte. Es war nicht das erste Mal das etwas in mir zerbrach, alleine in den letzten 10 Jahren scheinen die Einschläge immer näher und häufiger. Halle, Hanau, der Krieg in der Ukraine und jetzt der 7.10. und alle seine Folgen. Und aus Gesprächen und Beobachtungen weiß ich das ich nicht alleine stehe mit diesem Gefühl. Jüdinnen und Juden teilen diese Gefühle und diese Erfahrungen, egal ob in Hannover, Tel-Aviv, Jerusalem, Berlin, Duisburg oder anderswo.

Für uns Juden und Jüdinnen gab es eine Welt vor dem 7.10.2023 und eine danach. Und jeden einzelnen Tag wird uns immer und immer wieder gezeigt, dass es kein Zurück mehr gibt. Zu dieser Gewissheit kommt noch eine andere dazu. Nämlich, dass es hunderte, Tausende, Millionen von Menschen, alleine in Deutschland, gibt, die froh darüber sind das es kein Zurück mehr gibt. Menschen die ab der ersten medialen Übertragung des Massenmordes gejubelt haben. Die einen verteilten Süßigkeiten in Neukölln, die anderen machten hippe Sharepics auf Instagram und sie alle stimmten einen gemeinsamen Freudenchor im Namen der Mörder, Vergewaltiger und Leichenschänder an. Eine Welle der Ekstase des Hasses breitete sich auf den Straßen von Städten in der ganzen Welt aus. Mal wieder, alle vereint in ihrem Judenhass.

Genau das ist der Grund wieso für mich, für uns, seit einem Jahr dauerhaft der 7. Oktober ist. Wir hatten keinen einzigen Tag, keine einzige Minute um unsere Toten zu betrauern ohne das auf Demos, auf den Straßen und in den sozialen Netzwerken der größte Massenmord an Juden und Jüdinnen seit der Shoah rechtfertigt und gefeiert wurde.

Ich habe lange darüber Nachgedacht was ich zum Krieg sagen soll. Der Krieg der mit dem Überfall der Hamas, der Ermordung von über 1200 Israelis, und Entführung von über 250 Geiseln anfing und mittlerweile Tausende Tote, militärisch wie zivile, hervorgebracht hat. Es gibt so vieles was ich sagen könnte und doch finde ich kaum die Worte dazu. Zwei Forderungen die immer wieder geäußert werden kann ich mich anschließen. Bring them Home and end the war. Es muss eine unverzügliche Rückkehr aller Geiseln erfolgen und erst dann kann und muss der Krieg beendet werden. Das sind meine Forderungen für den Krieg in Israel, den palästinensischen Gebieten und dem Libanon.

Der 7. Oktober hat mich gebrochen.

Heute Morgen als ich aufwachte und leider wie fast jeden Tag kurz nach dem Aufstehen zum Handy griff, sah ich ein Bild was mich nicht mehr loslässt. Es ist ein Bild des israelischen Zeichners und Aktivisten Zeev Engelmayer. In einem fast kindlichen Malstil zeigt es eine grüne Wiese voller kleiner Häuser. Alle Häuser brennen. Die Bäume brennen. Komplett schwarz gemalte bewaffnete Strichmännchen ziehen bunte Strichfiguren aus dem Haus und erschießen Sie und Zünden Sie an. Das Bild trägt den Titel 7.10.2023. Dieses Bild lässt mich nicht mehr los, weil es mir so bekannt vorkommt. Und es kommt mir nicht nur bekannt vor, weil ich all diese Szenen vom 7. Oktober kenne. Es kommt mir bekannt vor weil es kein neues Motiv jüdischer Künstler und Künstlerinnen ist.

Solche Pogrome erleben wir seit über tausend Jahren. Wir haben Sie in Deutschland, Polen, Ukraine und Russland erlebt- wir haben sie in England, Frankreich, Spanien, Marokko und Algerien erlebt – genauso wie wir sie im Irak, im Iran, im Libanon, der Türkei und überall sonst wo wir gelebt haben – erlebt haben. Es war schon immer egal wo wir sind, und wie wir sind, irgendeinen Grund haben die Judenhasser immer gefunden um uns zu ermorden, völlig egal für Sie ob es den Staat Israel gab oder nicht. Doch für uns ist es nicht egal, es gibt den Staat Israel und dafür bin ich dankbar, denn so sind wir wenigstens wehrhaft. Ja der Staat Israel hat am 7. Oktober versagt und er ist auch ganz klar in einer Krise und doch ist es weiterhin der einzige Garant für ein wehrhaftes jüdisches Leben, denn ein anderes lässt diese Welt gar nicht zu.

Der 7. Oktober hat uns gebrochen.

Er hat uns gebrochen, immer wieder und wieder. Er hat uns gebrochen mit jedem Video des Mordens und der Gewalt der Hamas gegen die Menschen in Israel. Er hat uns gebrochen mit jedem neuen Detail was wir lernten, mit jeder Geschichte zu den Opfern und ihrem Leben welches so gewaltvoll endete. Er hat uns gebrochen mit jedem Jubel und jeder Rechtfertigung zur genozidalen Gewalt des 7.10. Er hat uns gebrochen jedes Mal, wenn wir sahen wie Arbeitskolleginnen, Freunde, Bekannte sich diesem mörderischen Jubel anschlossen.

Er hat uns gebrochen, weil wir zu spüren bekamen wie Empathielos die Welt uns gegenüber war und ist. Er hat uns gebrochen, jedes Mal, wenn die Nachricht über den Tod, die Ermordung weiterer Geiseln in unseren Alltag gelang.

Der 7.10. hat mich genauso wie viele andere Juden und Jüdinnen gebrochen. Und in vielerlei Hinsicht sind wir ein gebrochenes Volk. Unsere Geschichte ist voller Gewalt, Vertreibung und Mord. Unsere Familienbiographien und Stammbäume enden oft plötzlich und sind voller Brüche. All das treibt einen seit einem Jahr immer wieder in die Hoffnungslosigkeit.

Trotz all des Schmerzes und der Brüche des letzten Jahres gab es für uns auch kleine Lichtblicke die unheimlich wertvoll sind. Wir sind dankbar für all die die uns gezeigt haben das wir nicht alleine sind, das ihr unseren Schmerz sieht und das ihr an unserer Seite steht, viele von denen sind heute hier. Bitte tut das weiterhin, wir brauchen euch.

Der 7. Oktober hat mich gebrochen.

Wie sehr er mich gebrochen hat bemerkte ich spätestens mit dem Mord der Geisel Hersch Goldberg-Polin. Hersch war eine der bekannteren Geisel, er war Werder Bremen Fan, leidenschaftlicher Linker Aktivist. Er hat sich seit Jahren in Israel politisch für eine bessere Gesellschaft eingesetzt und er hat diesen Traum auch nach Deutschland mitgetragen. Dann hat die Hamas ihn kurz vor seiner Rettung hingereichtet.

Der 7. Oktober hat uns gebrochen.

Doch mit der Zeit, so sagt man, werden aus den Brüchen Risse und aus Rissen Narben. Hoffentlich wird auch aus diesem Bruch irgendwann eine Narbe, doch ich habe nicht das Gefühl das der Heilungsprozess bisher begonnen hat. Hoffentlich sind wir in einem Jahr weiter was das angeht, aber bis dahin scheint es noch ein weiter Weg.

Bring them Home! Am Yisrael Chai.

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